Liebes Archiv … Einträge vom Juni 2008

...schlaaand!


Der Planet Berlin fiel um dreiviertel neun ins Koma. Immer wieder. In immer kürzeren Abständen. Wachte verkatert auf. Rieb sich die kleinen Augen. Mußte manchmal kotzen.
Verwaist waren die Parks. Verwirrt kehrten die Vögel des Abends in einen ganz anderen Park zurück, als den, welchen sie des Morgens verlassen hatten. Die Ruhe war ihnen unheimlich.
Nur noch Aussätzige trieben sich dort herum, Anarchisten und Vaterlandsverräter, Staatenlose und Taub-Blinde, verbohrte Jogger und verirrte Touristen, anfangs sogar Frauen - jene mit abnehmender Tendenz. Was war passiert?
Zwei Jahre waren seit dem letzten Ausbruch vergangen, die Narben kaum verheilt, da fing es wieder an. Männer schienen dem Virus einen geringeren Widerstand zu bieten. Zuerst kamen mehrfarbige Wimpel, die sich die bereits Infizierten freiwillig an ihre Autos hefteten, welche daraufhin zu unpassender Zeit hupten. Epidemisch anmutender massenhafter Verlust der Muttersprache kündigte unfehlbar von der Unmittelbarkeit der nächsten Welle. Die Zusammenrottung der Verseuchten mit ihren seelenlosen, glasigen Augen und ihre markerschütternden, schmerzerfüllten Laute ließen Ordnungskräfte in gebührlichem Abstand, doch aufmerksam beobachtend, ausharren. Jederzeit konnte der Virus übergreifen. Das mühsam aufgebaute Mehrwegflaschensystem zerbarst auf der Straße. Heisere Trompeten erklangen und ziellose Raketen irrten durch die Luft - Silvester? Waren sogar die Sterne in Unordnung geraten?
Wie von einer unsichtbaren Hand geleitet strömten die Untoten in ehedem gemütliche Biergärten, Strandbars, Kneipen mit nun grünschimmernden hypnotisierenden Leinwänden, die Luft war fühlbar flirrend von Schmerzen, herzzerreißendes Jaulen immerwieder, mehrere Stunden dauerte jeder Kampf, dann für wenige doch die Erlösung, kraftlos sanken sie zu Boden, andere dagegen irrten noch lange durch die Straßen unter Geheul bis all ihre Kraft aufgezehrt ward. Und dann endlich Stille. Für ein paar Stunden.
So ging es wieder und wieder, wochenlang, immer weniger Menschen blieben stark genug, sich der fatalen Anziehungskraft der Massenhysterie zu widersetzen, immer mehr Wimpel, Hupen, Johlen, Schmerzen, Knirschen von zerstoßenem Glas.
Schließlich der Höhepunkt, Immunsysteme vor ihrer größten Herausforderung und der höchsten Wahrscheinlichkeit des Scheiterns. Das normale Leben auf den Straßen war versiegt. Wieder dreiviertel neun, der entscheidende Sonntag im vergehenden Juni anno zwonullnullacht des Herrn. Halleluja! Würde die Menschheit ihre Menschlichkeit zurückgewinnen?
Stunden tobte der letzte Kampf, fiebrige Gesichter, entkräftete Körper, Finale, Aufbäumen, Zittern und Beben, dann Schluß. Die Masse zerfiel urplötzlich in ihre Bestandteile.
Resignation - wie konnte es soweit kommen. Manche widersetzten sich ihrer Errettung, klammerten sich an den Virus, versuchten ihn zu konservieren, falsch wirkten ihre letzten Zuckungen. Die meisten allerdings ergaben sich der Befreiung, trotteten erlöst oder ernüchtert nach Hause. Die Katastrophe war gerade noch abgewendet, größtmögliche Immunität der Überlebenden für zwei weitere Jahre hergestellt, doch dann konnte wieder alles passieren.

[] Berlin / Montach, 30. Juni 2008

Sandsationell.


In zwei Reihen ducken sich die Pyramiden hinter den Schilfzäunen am Humboldthafen. Nix is mit umsonst gucken. Kein besonders exponierter Platz in diesem Jahr, das war im letzten Jahr anders. Und auch die Formen waren irgendwie einfallreicher. Aus dem niederlehmigen Sand wurde trotzdem so einiges gezaubert. Und prämiert wurde auch schon.
Als dann zur Mittagszeit mehr und mehr formschöne Wolken den Himmel bekränzten, gab es mal wieder kein Halten vor dem silbrigen Auslöser.

[] Berlin / Dienstach, 17. Juni 2008

...und hier geht's weiter in die Vergangenheit.